Wie Yoga bei Angst hilft
Die Frage wie Yoga bei Angst hilft ist im Corona Jahr 2020 aktueller denn je. Und der Bedarf an wirksamen Selbsthilfen hoch, denn viele Betroffene schämen sich und suchen entweder keine Experten-Hilfe oder sie warten viele Monate auf einen Therapie-Platz. Derzeit übersteigen die Ängste sehr vieler Menschen ein normales und gesundes Maß.
Die Nachfrage nach Yoga bei Angstzuständen und Panikattacken stieg auch schon vor den einschneidenden Ereignissen in diesem Jahr. Kein Wunder, denn bei zunehmendem Stress-Pegel durch vielfältige Belastungen am Arbeitsplatz, hektischen Lebensstil und überreizte Sinne im digitalen Dschungel erhöht sich die Alarmbereitschaft des Nervensystems.
Auch ungeklärte persönliche Beziehungen oder große Lebensumbrüche (z.B. Tod eines Angehörigen, Trennung vom Partner, Jobverlust, etc.) können aus dem normalen und durchaus gesunden Level an Angst ein riesiges Gespenst machen. Dieses Gespenst schränkt oft die Lebensqualität massiv ein.
Um in ein gesundes Verhältnis zur eigenen Angst zurückzukehren, ist Yoga ein hervorragendes Mittel zur Selbsthilfe.

Was ist das Wesen der Angst?
Ich kenne das Wesen der Angst gut. Über Jahre befand ich mich selbst in ihrem Würgegriff. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn ohne erkennbaren Grund das Herz zu rasen beginnt, die Hände schwitzen, Übelkeit und Schwindel den Boden unter den Füßen nehmen, der Mund trocken wird und du kaum noch atmen kannst. Und das in alltäglichen Situationen: beim Einkaufen, während eines Konzertes oder an öffentlichen Plätzen…
Das Wesen der Angst, um die es hier geht, ist irrational. Unser Nervensystem zeigt eine Überreaktion auf harmlose Auslöser (z.B. Umleitung, defekter Bankautomat, Stimmengewirr im Supermarkt).
Die „normale“ Angst hat die gute Absicht, uns vor Gefahren zu schützen. Sie macht uns hellwach, präsent und damit handlungsfähig. Wenn sie jedoch auf ein latent gestresstes Nervensystem trifft, nimmt sie schnell überhand. Der Schutzmechanismus artet aus in Kopflosigkeit.
Um dieser Eskalation vorzubeugen ist es enorm wichtig, unser Nervensystem zu stärken. Dafür eignet sich Yoga ganz wunderbar.
Wie die körperlichen Wirkungen von Yoga bei Angst helfen
- Wenn du vor lauter Anspannung sehr fest bist, also einen erhöhten Muskeltonus hast, entspannt dich Yoga. Wenn die Angst dich schlaff macht, also dein Muskeltonus herabgesetzt ist, stimuliert Yoga und kräftigt deine Muskeln.
- Die wohltuenden Dehnungen der Asanas (=Körperübungen) bauen muskuläre und fasziale Spannungen ab, so dass du insgesamt lockerer und weicher wirst. Auch im Denken.
- Dein Gewebe wird gleichmäßig gut durchblutet. Im Volksmund heißt es, Angst lasse das Blut in den Adern gefrieren. Yoga taut es wieder auf
.
- Schon- und Fehlhaltungen (z.B. durch sitzende Berufstätigkeit) werden aufgeweicht. Deine Körperhaltung verbessert sich. Das stärkt dein Selbstvertrauen.
- Durch dreidimensionale Durchwringung (Kompression, Dehnung, Drehung) des Körpers werden Schlacken aus dem Gewebe abtransportiert. Dein Körper entgiftet. Du kannst dir vorstellen, das „Gift der Angst“ wird aus deinen Zellen ausgewrungen.
- Längeres Halten beruhigt den Sympathikus (Nervensystemteil, der Angst aufrecht erhält) und stimuliert den Parasympathikus (Nervensystemteil, der Angst lindert)! Daher ist gerade das langsame Yin-Yoga ideal bei Ängsten. Das achtsame Verweilen in den Asanas für mind. 30 Sek., besser 3 Minuten gibt dir die Kontrolle über deine Emotionen zurück.
- Schließlich hilft Yoga super, um die Wahrnehmung der Erdanziehung zu schulen. Zu spüren wie Schwerkraft auf den Körper wirkt, bringt Erdung und Halt. Du lernst geerdet sein und Vertrauen zu verkörpern. Das nennt man Embodiment.

5 Praxis-Tipps für Yoga bei Angst
Was meist mit Yoga assoziiert wird – die Körperhaltungen (Asanas) – ist nur ein winziger Aspekt innerhalb der sehr komplexen Welt des Yoga. Im Laufe von mehr als 20 Jahren Yoga-Praxis haben sich für mich weitere Aspekte aus dem Yogasystem als besonders hilfreich heraus krsitallisiert, um einen konstruktiven Umgang mit Ängsten zu erlernen.
Tipp 1: Bewegung first! Asanas (Körperhaltungen)
Da bei Angstzuständen der Atem in der Regel verkrampft und ein totaler Kontrollverlust befürchtet wird, fällt es meiner Erfahrung nach schwer, einfach mal eben „tief durchzuatmen“ und dadurch die Angst zu lösen. Gerade das wird oft empfohlen. Mich hat die Konzentration auf den Atem in Zeiten starker Ängste nur noch unsicherer gemacht. Ich hatte das Gefühl, noch nicht einmal das, was alle als hilfreich empfehlen, kriege ich hin. Nach einigem Rumprobieren konnte ich beobachten, dass ein bewusstes Lenken des Atems leichter fällt, wenn ich erst mal den Körper achtsam bewege.
Bewegung schafft Präsenz. Präsenz holt uns ins Hier und Jetzt – diesen kurzen Moment, den du händeln kannst, auch wenn du dich gerade schrecklich fühlst. Präsente Bewegungen ziehen unsere Energie ab aus dem Grübeln über Vergangenheit und Zukunft. Das beruhigt den Geist. JETZT ist ohnehin der einzige Moment, den wir aktiv gestalten können.
Deswegen ist mein 1. Tipp: achtsame (!) Bewegung. Wenn „richtiges Atmen“ (siehe Tipp 2) in Momenten der Angst einfach nicht gelingen will. Geh stattdessen in eine oder zwei Asanas, die dir Sicherheit vermitteln oder mache einen kleinen Flow, der dich ins Fließen bringt. Es ist nach meiner Erfahrung nicht so entscheidend, welche Übung du machst, sondern dass du eine machst, um dich wieder zu spüren.
Auch eine ultra-langsame Geh-Meditation kann dich auf den Boden und in die Körperpräsenz holen, indem du jeden Millimeter deiner Fußsohle spürst. Wenn der Körper in achtsamer Bewegung die Erstarrung der Angst loslassen kann, wird der Atem automatisch ruhiger. Dann kannst du beginnen, ihn zu lenken.
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Tipp 2: Pranayama (Atemkontrolle)
Wenn du dich aus der körperlichen Schockstarre der Angst bewegt hast, fällt es leichter, den Atem als Unterstützer ins Boot zu holen. Dies wird in der Regel in einer entspannten Sitzhaltung geübt. Du kannst einige Atemübungen aber auch gut beim Spazieren mit dem Rhythmus deiner Schritte verbinden.
Ist der Atem ruhig und klar, so ist auch der Geist ruhig und klar. Durch Atemberuhigung und bewusste Atemlenkung können wir also den Geist beruhigen. Dabei geht es in Bezug auf Ängste v.a. darum, zurückzukehren zur natürlichen Bauchatmung. D.h., wir beziehen das Zwerchfell in die Atmung mit ein. Die große horizontale Muskelplatte des Zwerchfells in der Mitte des Rumpfes überträgt die Ausdehnung und das Zusammenziehen der Lungen auf den Bauch. Dieser sich hebt und senkt, wenn wir entspannt atmen.
Neutrales Beobachten des Atems und allmähliches Kultivieren der tiefen Bauchatmung senkt die Cortisolwerte (Cortisol = Stresshormon) und erhöht die Serotonin-, Dopamin- und Endorphin-Konzentration im Gehirn (Glückshormone). Das wirkt dem Auslösen einer neuen Angstattacke entgegen.


Bei akuter Ängstlichkeit gilt die Regel: den Ausatmen doppelt so lang sein lassen wie den Einatmen. Beispiel: Ein-2-3-4 (innnerlich zählen), aus-2-3-4-5-6-7-8. Die Konzentration auf das Zählen zieht gleichzeitig Energie ab von sorgenvollen Gedanken.
Um über den Atem eine geistig-emotionale Resilienz gegenüber Ängsten zu trainieren, nutzt es, auch das Atem Anhalten zu üben. Eine Beispielübung: Ein-2-3-4, Halten-2-3-4-5-6-7, aus-2-3-4-5-6-7-8. Im Atem Anhalten schulen wir unsere Fähigkeit Spannung auszuhalten, ohne sofort reaktiv zu werden und in Aktionismus zu verfallen. Genau das passiert bei Panik oft. Wir glauben SOFORT etwas an der Situation ändern zu müssen.
Tipp 3: Dharana (Konzentration)
Durch Erdung können wir uns trotz Angst in Sicherheit fühlen. Klingt surreal? Ja, ich weiß. Ich kenne die innere Stimme, die sich auflehnt und schreit: „Meine Angst ist echt, verdammte Sch…. . Die geht nicht einfach weg aufgrund einer netten Affirmation.
Das tut sie tatsächlich nicht. Aber: wenn du dir angewöhnst, deine Ankerpunkte für Erdung im Körper zu aktivieren, wirst du erfahren, dass Ängste seltener und weniger stark kommen. Erdung bringt Stabilität und Sicherheit. Du machst die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit ist für Angstgeplagte, die häufig das Gefühl haben, ausgeliefert zu sein, Gold wert. Der Selbstwert und das Selbstvertrauen steigen. Und damit bist du weniger anfällig für Angstattacken. Bingo!
Die Ankerpunkte für Erdung sind:
- Füße (v.a. die Fußsohlen) auf dem Boden spüren
- Aufmerksamkeit nach innen und unten in den Körper lenken hin zu deiner Körpermitte (zu deinem Hara)
- Schwerkraft wirken lassen auf die Berührungspunkte deines Körpers mit dem Boden bzw. der Unterlage, je nachdem ob du sitzt, stehst oder liegst (dieser Ansatz wird auch in der Therapieform des „Somatic Experiencing“ genutzt)
Übrigens: in meinem am Körper ansetzenden Coaching ist Erdung ein zentrales Element. Willst du starke Präsenz im Hier und Jetzt etablieren? Willst du Stabilität und Klarheit in dir spüren sowie auf andere ausstrahlen? Dann lass uns telefonieren. Ich helfe dir sehr gern weiter.
Tipp 4: Svatyaya (Selbsterforschung)
Svatyaya ist eines der 5 Nimayas (Lebensregeln) in Patanjalis Yoga-Sutra, einem wichtigen Quellentext es Yoga (mehr dazu hier). Svatyaya wird dem Yoga der Philosophie, dem Jnana Yoga zugeordnet. Hier geht im Kern um die Frage „Wer bin ich?“.
Der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard (1830 -1855) sagte:
„Wir können das Leben nur rückwärts verstehen und nur vorwärts leben.“
Genau darum geht es bei Svatyaya. Um insgesamt bewusster zu werden, soll das eigene Denken und Handeln beobachtet, reflektiert und kritisch hinterfragt werden.
- Warum und wie handle ich?
- Welchen Reiz-Reaktionsketten bin ich zum Opfer gefallen?
- Welche Schwierigkeiten habe ich?
- Welche Vorurteile habe ich?
- Wo bin ich zu voreiligen Schlüssen gekommen?
- Was motiviert mich in der Tiefe?
Die Ursache von Ängsten geht oft auf kindliche Prägungen zurück. Das Familiensystem und unsere Rolle darin „rückwärts“ zu verstehen, kann helfen, uns selbst mit mehr Mitgefühl zu begegnen. Selbstmitgefühl wirkt ungeheuer entspannend bei Ängsten. Wir erlauben dem inneren Kind genauso zu sein, wie es gerade ist. Eine tiefe, uralte Sehnsucht wird dadurch gestillt und das Nervensystem ist augenblicklich weniger Druck ausgesetzt.
Wer sich seiner Verhaltensmuster bewusst ist, kann wählen, ob er sie unterbricht oder weiterleben will. Das nenne ich Eigenverantwortung und Schöpferkraft.
Tipp 5: Meditation
Wenn wir Angst haben (oder sonst ein unangenehmes Gefühl), „beamen“ wir uns aus dem Körper raus. Weil wir uns schützen wollen vor Empfindungen, die das Gegenteil von Glück bedeuten. Wir hauen ab in gedankliche Szenarien, wie es mal war oder irgendwann sein könnte. Wir hauen ab in eine Gedankenblase. Völlig normal und menschlich.
Das Problem ist nur: das Gefühl geht davon nicht weg. Unter Umständen wird es sogar stärker. Lass uns das Ganze mal so betrachten: Jede Emotion hat eine bestimmte Energie oder „Ladung“. Diese drückt sich im Körper aus. Keine ist in sich besser oder schlechter als eine andere, auch wenn wir das so empfinden. Manche Gefühle sind einfach angenehm, andere unangenehm. Die Ladung ist verschieden. Wenn wir der unangenehmen Ladung von Gefühlen ausweichen, entmachten wir uns selbst – so paradox das auch erst mal klingen mag. Alle Gefühle erfüllen einen Zweck und beinhalten eine Botschaft. Wenn wir uns weigern, die Botschaft wahrzunehmen, findet unser Unbewusstes andere Wege, uns wachzurütteln. Kennst du, oder?
Der schwierige Umgang mit einem unangenehmen Gefühl wie Angst rührt von der Interpretation, die wir ihm zuordnen: ‚Angst ist was für Schwächlinge. Schwach sein ist peinlich und demütigend.‘ etc. Das Problem ist also nicht das Gefühl selbst, sondern unsere Wertung darüber.
Lenke deinen Fokus weg vom Denken auf das sensorische Fühlen, das Fühlen mit den Sinnen! Anstatt im Kopf ein Urteil über das gegenwärtige Gefühl zu formulieren, gehe mit all deiner Aufmerksamkeit mitten rein in die Empfindung von Enge, Druck, Zittern … in deinem Körper. Wo auch immer das gerade ist: Kehle, Bauch, Herzraum, Nacken, egal. Übe diese Empfindung ohne Urteil und Wertung zu beobachten!
Die Fähigkeit, unsere Konzentration gezielt an bestimmte Körperstellen zu lenken und dabei den Atem fließen zu lassen, lehrt uns Yoga in meisterlicher Weise. In der Meditation üben wir, die Ladung einer Emotion zu halten. Und unseren Geist immer wieder in die Gegenwart des Jetzt zu holen. Wir üben dabei, weder zu kämpfen gegen das, was ist, noch daran festzuhalten, noch davor wegzulaufen. Wir bleiben gegenwärtig und beobachten, dass alles Denken und Fühlen kommt und geht, wie eine Welle. So auch die Angst. Irgendwann lernen wir, uns in die Gewissheit zu entspannen, dass Angst wie alles Andere eine vorübergehende Erscheinung ist.

Bonus: Meine persönlichen „best practices“ neben Yoga
Außer Yoga und Meditation gaben mir diese Maßnahmen Selbstachtung und Selbstvertrauen zurück.
- Für ausreichend Vitalstoffe sorgen, damit dein Nervensystem biochemisch gut aufgestellt ist.
- Erdung durch Aufenthalte in der Natur, Gärtnern, Töpfern, Wurzelgemüse essen. Und den Fokus aus dem Kopf in den Körper holen.
- Probleme bei akuten Ängsten nicht über Meditation zu lösen versuchen! Erst erden! Sonst besteht die Gefahr von „Vermeidungs-Spiritualität“ und Abhängigkeitsstrukturen und sogar Verstärkung der Angst.
- Eigene Bedürfnisse spüren lernen und konsequent nähren (z.B. das Bedürfnis nach regelmäßigen Pausen, frischer Luft und Alleine-Zeit).
- Biorhythmus achten und ehren (für genügend Schlaf, Ruhephasen, Bewegung, Kreativität sorgen; besondere Bedürfnisse während der Menstruation respektieren).
- Gesunde Abgrenzung („Nein“ sagen, wo es hingehört, es nicht allen recht machen wollen, sich selbst ernst und wichtig nehmen)
- Nimm deine Angst in Besitz! Angst ist ein „Schatten“, der Lebensenergie bindet, wenn wir ihn ablehnen oder bekämpfen. Steh zu dir und der Angst. Hol den Schatten ans Licht. Das wird ihr den Wind aus den Segeln nehmen.
Schließen möchte ich mit ein Zitat von Tony Robbins:
Wer niemals Angst hat, wächst nicht!
Ermutigende Grüße
